B2     Secundo: Schnelle Uhren ticken langsamer


Es kommt aber noch schlimmer: Nicht nur der Begriff der Gleichzeitigkeit wird bedeutungslos, wenn wir Ereignisse aus zwei zueinander bewegten Inertialsystemen beobachten, auch der Fluss der Zeit selber wird unterschiedlich schnell! Für die Herleitung des quantitativen Zusammenhangs brauchen wir nur den Satz des Pythagoras.

Wir gehen von der Konstanz und Universalität des Wertes von c aus und denken uns Lichtuhren von folgender Bauart aus:

 

In einem Rohr läuft ein Lichtblitz von unten nach oben zu einem Spiegel,
wird dort reflektiert (“tick”) und läuft zurück zum Boden. Dort wird er von
einer Fotozelle registriert (“tack”), löst einen neuen Blitz aus und der
Zählerstand wird um 2 erhöht. Der Zählerstand kann jederzeit ausgelesen
und festgehalten werden. Überlegen Sie sich zuerst, warum die Uhr gerade
30 cm lang sein soll und warum der Zähler jeweils um 2 erhöht wird.


Stellen Sie sich weiter vor, dass wir mehrere solche Uhren zur Verfügung haben und einige davon entlang der x-Achse unseres Koordinatensystems in bekannten Abständen aufgestellt und synchronisiert sind. Eine weitere baugleiche Uhr bewege sich mit der Geschwindigkeit v an diesen ‘ruhenden’ Uhren vorbei (nur diese ‘schnelle’ Uhr ist unten in drei Positionen gezeichnet !).

Wieviel Zeit verstreicht im ruhenden System, derweil es im System der ‘schnellen’ Uhr einfach ‘tick’ macht ?

Der vom Licht zurückgelegte Weg beträgt im bewegten System, welches das ‘Gestrichene’ sei, also die Zeit in t’ misst, einfach 30 cm oder allgemein  c·∆t’ . Welchen Weg hat dieser Blitz aber aus der Sicht des ungestrichenen Systems zurückgelegt, in welchem wir die Zeit mit t angeben und in welchem sich die eine Uhr mit v entlang der x-Richtung bewegt? Wegen der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit natürlich c·∆t . Diese beiden Weglängen sind aber nicht gleich lang, also müssen sich die Zeitintervalle ∆t und ∆t’ unterscheiden! Der Satz des Pythagoras liefert uns den Zusammenhang zwischen den beiden Messwerten:

Im ruhenden, ungestrichenen System ist offenbar mehr Zeit verstrichen als im bewegten, das Licht hat ja dort eine längere Strecke zurückgelegt. Es gilt:
(c·∆t)2 = (v·∆t)2 + (c·∆t’)2 ;  c2·(∆t)2 = v2·(∆t)2 + c2·(∆t’)2 ;   (∆t’)2 =  (∆t)2·(1- v2/c2)   und somit

Bewegte Uhren ticken also langsamer, verglichen it einem Satz ruhender Uhren. Diesen Effekt nennt man die Zeitdilatation. Unter den Stichworten ‘Lichtuhr’ oder ‘lightclock’ sowie ‘Zeitdilatation’ oder ‘time dilatation’ finden Sie im Internet unzählige nette Animationen zu dieser Konsequenz des Festhaltens an M und R.

Im gestrichenen System messen wir hier die Eigenzeit des Vorgangs. Wir brauchen dazu typischerweise nur eine ruhende Uhr und nicht einen Satz synchronisierter Uhren. Die Eigenzeit ist immer die längste, die ein Vorgang in einem System beansprucht! Es gilt das Prinzip der maximalen Eigenzeit. Aus der Sicht des gestrichenen Systems bewegen sich ja die ungestrichenen Uhren, und diese ticken daher alle langsamer als die eigene ruhende Uhr. Wie passt jetzt aber dazu, dass wir im ungestrichenen System soeben eine längere Dauer gemessen haben? Dass sich daraus kein Widerspruch ergibt, wie viele immer wieder meinen, werden wir am Ende von B6 klar erkennen. Vielleicht sehen Sie jetzt schon, wie sich dieser scheinbare Widerspruch auflöst? Wichtig dabei ist, dass wir für die Messung im einen System mindestens zwei distante Uhren brauchen ...


Von Newtons absoluter Zeit ist also wenig übriggeblieben. Es macht daher Sinn, ein Diagramm zu zeichnen, in der die von identischen, perfekten (!) Uhren angezeigte Zeit in Abhängigkeit der von meiner perfekten Uhr angezeigten Zeit dargestellt wird:

 


schwarz: meine Uhr und alle mit ihr synchronisierten in meinem Inertialystem
grün: eine in meinem System ruhende gute, aber schlecht synchronisierte Uhr
rot: ‘schnelle’ Uhren, die in ihrem eigenen Inertialsystem synchronisiert sein können

Zeichnen Sie noch eine schlechte, aber im Grossen und Ganzen gut synchronisierte ruhende Uhr ein sowie eine zweite ruhende Uhr, die zum Zeitpunkt 10 gerichtet wird, ab dann aber zu schnell geht!


Damit haben wir die Relativität der objektiven Zeitmessung beschrieben. Dass das subjektive Zeitempfinden sehr ‘dehnbar’ ist ist allgemein bekannt. Das Bild von Salvador Dali mit dem Titel ‘The Persistence of Memory’ passt gut zu beiden Sachverhalten:

 
Einstein hat die Subjektivität des Zeitempfindens einmal mit den folgenden Worten illustriert:

"Eine Stunde mit einem hübschen Mädchen vergeht wie eine Minute, aber eine Minute auf einem heissen Ofen scheint eine Stunde zu dauern."  [22-154]