H6     Gravitation und Krümmung des Raumes


Wir haben in G4 auf p.109 schon gesehen, dass die Metrik des Raumes in der Nähe einer gravitierenden Masse nicht mehr den Gesetzen von Euklid gehorcht. So ist zum Beispiel der mit lokalen Massstäben gemessene Durchmesser der Erde etwas grösser als der Erdumfang geteilt durch die Kreiszahl π . Der Effekt ist in einem schwachen Gravitationsfeld wie demjenigen der Erde wieder sehr klein, in der Umgebung der Sonne ist er aber heute experimentell leicht nachzuweisen.

Betrachten Sie nochmals die Illustration auf p.109 in G4. Mit der Delle oder, Epstein zuliebe, mit einer Beule kann man das Verhalten dieser Metrik in einer zusätzlichen Dimension, die nichts mit der z-Richtung zu tun hat, gut sichtbar machen. Epstein gibt in [10-207ff] ausführliche Anweisungen, wie man sich ein Modell einer solchen Ebene durch den Mittelpunkt der Sonne (also der Ekliptik) selber basteln kann. Die kontinuierlichen Änderungen der Krümmung werden dabei der Einfachheit halber ignoriert, die ganze Beule wird durch einen Kegel dargestellt:

Dieses einfache Modell zeigt qualitativ schon alle Effekte, welche nach der ART ihre Ursache in der nichteuklidischen Metrik des Raumes haben!


Ich traue dem Leser und sowieso der Leserin durchaus zu, einen solchen Kegel ohne zusätzliche Anleitung selber zu basteln. Zu beachten ist, dass es später einfach sein muss, den Kegelmantel zu ‘öffnen’ und in die Tischebene abzuwickeln und nachher wieder zum Kegel aufzurichten. Also eher die milchige Sorte Scotch Klebbänder verwenden und nicht die glasklare ...

Mit diesem Modell untersuchen wir nun - immer der Vorlage [10-207ff] von Epstein folgend - , welchen Effekt eine solche Raumbeule auf den Weg eines Lichtstrahls hat. Weitere schöne Anwendungen folgen noch im nächsten Abschnitt I. Es ist wirklich genial, mit welch einfachen Mitteln Epstein die Auswirkungen der Raumkrümmung klar und qualitativ korrekt zeigen kann!


Ein Lichtstrahl nähert sich unserer Raumbeule. Welchem Weg wird er folgen, wenn er in den Bereich der nicht-euklidischen Metrik gerät ?










Den Übergang von der Zeichenebene auf den Kegelmantel schaffen wir elegant: Erinnern Sie sich daran, dass die Beule eigentlich sanft aus der Ebene ansteigen sollte und dass es diese Kante also gar nicht gibt! Drücken Sie den Kegelmantel lokal einfach ein bisschen flach (gestrichelter Kreis) und verlängern Sie den Strahl gradlinig in den gestrichelten Kreis hinein.





Der Lichtstrahl wird sich weiterhin ‘gradlinig’ ausbreiten. Was heisst auf dem Kegelmantel? Sie können das leicht umsetzen, wenn Sie den Kegelmantel in die Zeichenebene abwickeln. Verlängern Sie dann das kleine, gerade Stück, das Sie innerhalb des gestrichelten Kreises schon auf dem Kegelmantel haben, bis der Lichtstrahl den Kegelmantel wieder verlässt.





Richten Sie den Kegel wieder in seiner 3d-Gestalt auf. Stellen Sie ihn an genau dieselbe Position, die er im Bild 2 schon innehatte. Damit haben wir - von oben betrachtet - die Verhältnisse der verzerrten Raumgeometrie in der Umgebung einer grossen Masse hergestellt. Wir sehen jetzt, welchen Weg der Lichtstrahl um das Zentrum dieser Masse einschlägt.

 



Genau gleich wie beim Schritt 2 können wir jetzt den weiteren Strahlengang konstruieren. Den Kegel im gestrichelten Kreis flachdrücken, dann das gerade Stück am Kegelrand in die Ebene hinaus verlängern - fertig!

 
 
 
 
 

 

Lichtteilchen fallen in einem Gravitationsfeld (wie alles andere) schon wegen der Krümmung der Raumzeit in Richtung des Massenzentrums. Da dieses Fallen unabhängig ist von der Masse des fallenden Teilchens, konnte man diesen Effekt bereits berechnen, bevor man wusste, welche träge Masse die Lichtteilchen haben. Der 27-jährige Johan Soldner hat 1803 einen Aufsatz vorgelegt, in welchem er aufgrund von Newtons Theorie die Ablenkung eines Lichtstrahls berechnete, der knapp am Sonnenrand vorbei läuft. Das Ergebnis seiner Rechnung war ein Winkel von 0.875 Bogensekunden. Genau diesen Wert erhielt Einstein auch, als er 1911 seine noch etwas unausgegorene neue Theorie testete. 1916 lieferte die ‘fertige’ ART aber eine Prognose von 1.75 Bogensekunden, also den doppelten Wert. Dieser Winkel war nun auch so gross, dass die Chance bestand, ihn anlässlich einer Sonnenfinsterniss auf einer Fotographie der Sterne in Sonnennähe deutlich ausmessen zu können. Genau dies ist dann 1919 zwei Exkursionen unter der Leitung des ‘royal astronomers’ Arthur Stanley Eddington auch gelungen.

Es war der Teil der Raumkrümmung, der in der Theorie von 1911 noch gefehlt hat. Beide Krümmungen (Raum-Zeit und Raum-Raum) wirken etwa zu selben Teilen und verdoppeln insgesamt den Effekt. Damit entstand auch eine Differenz zur Newton’schen Theorie, welche einen Entscheid zugunsten der ART und gegen Newton durch ein Experiment ermöglichte. Zwei Theorien mögen ja noch so unterschiedlich aufgebaut sein - wenn sie für alle Erscheinungen dieselben Prognosen machen, lässt sich mit einem Experiment nicht entscheiden, welcher man den Vorzug geben soll. Grundsätzlich können Experimente eine Theorie ja nur widerlegen, aber nie beweisen.

Es gibt jedoch einen bemerkenswerten Unterschied zwischen der Krümmung der Raumzeit und derjenigen des Raumes: Die Raumkrümmung wirkt nur auf Objekte, welche sich durch den Raum bewegen, sie hat keinerlei Einfluss auf Objekte, deren Geschwindigkeit null ist! Insbesondere kann die Raumkrümmung nicht bewirken, dass ein Objekt zu fallen beginnt. Wenn es aber einmal fällt, dann nimmt sie Einfluss auf seine Bahn. Dass der Apfel aber überhaupt zu fallen beginnt ist allein der Krümmung der Raumzeit zuzuschreiben.

Epstein bietet auch dazu eine interessante Analogie [10-210, Fussnote]: Es ist wie bei der Wirkung von elektrischen und magnetischen Feldern auf geladene Teilchen. Die Coulombkraft ist da und wirkt, unabhängig von der Geschwindigkeit des Teilchens. Das Magnetfeld hat aber keine Wirkung auf eine ruhende Ladung, die Lorentzkraft ist ja proportional zur Geschwindigkeit. Hier hört die Analogie leider auf zu funktionieren: Die Auswirkung der Raumkrümmung auf Bahnen von fallenden Objekten hängt nicht von deren Geschwindigkeit ab, wichtig ist nur, dass sie überhaupt eine Bahn durch den Raum einschlagen. Die Geschwindigkeit hat aber einen grossen Einfluss darauf, wie lange die Krümmung der Raumzeit wirken kann. Da passt die Analogie wieder, das ist ja bei einem geladenen Teilchen in einem elektrischen Feld genauso.

Sollte man nun diese Analogie in einer späteren Auflage (ich mache einen Scherz ...) ganz weglassen, weil sie nicht perfekt ist ?